Mit Menschlichkeit, Würde und Achtung
– Tanzen in ver–rückten Zeiten

Nun ist es soweit, in manchen Bundesländern füllen sich die Tanzstudios langsam wieder mit einem Kinderlachen, rosa Tütüs und leuchtenden Kinderaugen – in manchen Bundesländern warten wir noch auf eine Öffnung der Tanzstudios. Seit Anfang der Pandemie beschäftige ich mich mit dem Thema:

  • Wie wir Tanz unterrichten können, sobald wir wieder ins Studio dürfen und wie das Funktionieren kann inmitten vieler Restriktionen?
  • Wie gehen wir selber mit der Angst der Kinder, der Eltern und unseren eigenen Ängsten mit diesem unsichtbaren Virus um?
  • Wie können wir unsere Menschlichkeit im Tanzunterricht bewahren ohne selbst zum Polizisten zu werden?
  • Und schlussendlich wie können wir die Würde des Einzelnen hierbei achten?

 

Immer wieder kam ich zu dem Punkt, dass gerade die Pädagogik der Achtung, von Janusz Korczak hier eine Schlüsselrolle spielt. (Solltest Du Janusz Korczak nicht kennen, lese gerne den letzten Blogartikel – Janusz Korczak – Der König der Kinder.) Janusz Korczaks Pädagogik beruht auf einer besonderen inneren Haltung, doch ich möchte mich heute mehr mit der Alltagspädagogik Janusz Korczaks auseinandersetzen und vor allem wie diese aktuell im Tanzunterricht unter diesen speziellen Bedingungen angewandt werden kann.

 

Kinder fühlen, dass etwas anders ist

Alle Kinder haben die letzten Wochen sehr gut mitbekommen, dass etwas anders ist als sonst. Sie konnten nicht in den Kindergarten oder die Schule gehen, sie vermissen Ihre Freunde, den Opa oder die Oma. Auch im Tanzunterricht wird nun alles anders sein als sonst!

Janusz Korczak entfernte die Kinder niemals zu sehr von der wirklichen Realität, im Gegenteil. Er und Frau Stefa, mit der der er gemeinsam sein Waisenhaus führte, legten großen Wert darauf, mit den Kindern darüber zu sprechen, was draußen in der Welt geschah. Viele Ihrer Forderungen und pädagogischen Reaktionen waren von der Notwendigkeit bestimmt, im Lebenskampf zu bestehen.¹

 

Sprich aus Deinem Herzen und sei ehrlich

Korczak schreibt:

“Ein Kind denkt nicht weniger, nicht ärmlicher, nicht schlimmer als die Erwachsenen, es denkt nur anders. In unserem Denken sind die Bilder verblichen und zerrissen, die Gefühle dumpf und verstaubt. Ein Kind denkt mit dem Gefühl, nicht mit dem Verstand. Darum ist es so schwierig sich mit ihm zu verständigen, deshalb gibt es keine schwerere Kunst, als zu Kindern zu sprechen.
Lange meinte ich, Kinder müsse man leicht verständlich, unterhaltsam, bildhaft und überzeugend anreden. Heute glaube ich, daß wir kurz und von Herzen sprechen sollten, ohne lange nach passenden Redewendungen zu suchen – ganz einfach aufrichtig. Ich möchte lieber sagen: “Meine Forderung ist unbillig, abträglich, unausführbar, aber ich muß das von Euch verlangen” , als eine lange Begründung vorzubringen und darauf zu bestehen, dass sie gebilligt wird.”²

In diesem Zitat von Korczak spiegelt sich sehr gut wieder, wie er und Frau Stefa mit Problemen umgegangen sind. Sie haben die Kinder in Ihrem Gefühl und nicht mit Ihrem Verstand abgeholt – oft haben sie Themen auch künstlerisch bearbeitet um die Kinder auf die Realität vorzubereiten oder dies als Stilmittel Ihrer pädagogischen Arbeit genutzt, um Kinder in Themen oder Probleme einzuführen. Fakt ist: Wir haben aktuell ein Problem – das weiß jedes Kind.

Mir ist dieser Tage ein ganz bezauberndes Buch in die Hände gefallen, welches thematisch dazu sehr gut passt. Es heißt: Was macht man mit einem Problem?* Es handelt von einem kleinen Jungen, der ein Problem hat und es wird immer größer und größer. Doch irgendwann stellt er fest, dass ein Problem auch immer eine Chance birgt um innerlich wachsen zu können.
Mit solch einer Einführung, auf die aktuelle Situation im Tanzunterricht, hast Du die Möglichkeit den Kindern zu erklären dass wir aktuell ein Problem im Tanzunterricht haben; denn ein herumwirbeln durch den Raum und gegenseitige Berührung, wie sie es gewohnt sind, ist aktuell verboten. Doch Du hast Dich mit Mut diesem Problem gestellt und hast Dir viele wunderbare Möglichkeiten für den Unterricht überlegt.

 

Schutz der Gesundheit

Korczak schreibt hierzu:

“Krankheit, Gebrechen und Tod – das sind schlimme Schicksalsschläge. Eine neue Fensterscheibe, kann man ersetzen, einen verlorenen Ball wiederkaufen; Aber was soll man Tun, wenn einem ein Auge ausgeschlagen wird? Selbst wenn sich kein Unglück ereignet hat, ist es erforderlich, dass wir alle daran denken vorsichtig zu sein.”²

Deshalb hat jedes Kind für die kommende Zeit sein eigenes kleines Haus im Tanzunterricht und alle Kinder müssen beim Tanzen in ihrem kleinen Haus bleiben, denn wir müssen aktuell den Abstand zu anderen wahren, denn dass ist die liebevollste Handlung die wir machen können. In diesen Häusern werden die nächsten Wochen viele spannende Dinge passieren, manchmal verwandeln sich die Häuser in ein Schneckenhaus, ein Piratenschiff, einen Spielzeugladen oder in ein Olympiastadion und noch vieles mehr… und auch große Tänzer tanzen aktuell in Ihrem Häuschen, diese nennen das allerdings Bewegungen am Platz und es gibt so viele Bewegungen, die man am Platz machen kann.

Vermeide soviel Kontaktflächen beim Tanzen wie möglich, d.h. vor allem auch kein barfuß tanzen. Wische nach jedem Unterricht den Boden mit warmen Wasser und Seife, sodass die nächsten Schüler einen ordentlichen und sauberen Raum betreten können. Der Unterricht mit Props wie z.B. Tüchern, Bändern etc. ist aktuell verboten.

Solltest Du dennoch mit zum Beispiel einem Band o.ä. tanzen wollen, mache jedem Kind ein Tanzsäckchen und lege die Props, die nur für das Kind sind hinein. Für die Tanzsäckchen eignen sich einfache Baumwoll- oder Turnbeutel, schreibe auf jeden Beutel den Namen des Kindes mit einem wasserfesten Stift. Lege das »Tanzsäckchen« in jedes Häuschen des Kindes.

Nun kommt das Wichtigste. Um eine Ansteckungsgefahr über Aerosole zu vermeiden, ich persönlich empfehle mit ständig geöffneten Fenstern zu unterrichten, sodass immer ein Luftstrom vorhanden ist; bitte hierzu die Eltern einen Pulli einzupacken. Mehr über das Thema Aerosole findest Du hier.

Ebenso sollte das Training relativ ruhig sein, d.h. dass so wenig Schweiß wie möglich fließen sollte – in China wurde eine Studie zum  Thema Tanz/Fitness vs. Yoga durchgeführt und wie viele Personen sich jeweils im Training  angesteckt haben – mehr dazu findest Du hier

 

Die Gegenwärtige Stunde

Sei offen für die Fragen der Kinder, es ist sehr wichtig, dass sie begreifen was sie nun machen dürfen und was nicht. Korczak schreibt hierzu:

“Laßt uns Achtung haben vor der gegenwärtigen Stunde, dem heutigen Tag. Wie soll es morgen leben können, wenn wir ihm heute kein bewußtes, verantwortungsvolles Leben ermöglichen? …
Laßt uns Achtung haben vor jedem einzelnen Augenblick, denn er verlöscht und wird sich nie mehr wiederholen, man muß ihn immer ernst nehmen; wird er verwundet, so blutet er, wird er getötet, so wird er mit dem Gespenst böser Erinnerungen schrecken.”³

Nehme die Fragen, Ängste und auch die Sorgen der Kinder ernst – es geht darum, dass wir alle verantwortungsvoll handeln und auch die Kinder in Ihrem jungen Alter. Dies ist selbstverständlich eine Herausforderung, doch wir wollen den Kindern aufzeigen was geht, sodass sie es begreifen und keine bösen Gespenster und Erinnerungen schaffen.

 

Ordnung

Frau Stefa war Ordnung wichtig – ein wahrhaft wunderbares Zitat von Ihr ist:

“Der äußere Rahmen kann dem inneren Chaos, eine gewisse Ordnung geben.”¹

Gerade jetzt, ist der äußere Rahmen ganz besonders wichtig, denn er bietet den Kindern Halt. Gebe jedem Kind sein eigenes Häuschen indem es jede Woche wohnt. Lege hierzu ein Namensschild mit vielleicht mit einem Bild hinein. Gerade für Kinder, die noch nicht schreiben und lesen können, ist es einfacher sich ihren Platz anhand eines Bildes zu merken; da Ihre räumliche Orientierungsfähigkeit sich erst im frühen Grundschulalter stark verbessert. Mache Dir einen Plan wo jedes Kind ist – diesen brauchst Du auch für das Hygienekonzept. Laminiere die Namensschilder und desinfiziere sie nach jedem Unterricht.

 

Vorbild

Frau Stefa sagte Ihren ErzieherstudentInnen immer:

“Ihr müsst Euer Tun und Euer Benehmen ganz besonders beobachten und einer strengen Selbstkritik unterziehen, und das bevor ihr Fehler bei den Kindern kritisiert. Euer Vorbild ist für die Atmosphäre und für das ganze Leben in diesem Haus entscheidend.”¹

So ist es aktuell wichtiger denn je, sehr präsent zu sein und als gutes Beispiel den oben genannten Auflagen nach zu kommen. Ermuntere die Kinder, Dich daran zu erinnern etwas zu sagen, falls Du einmal etwas vergessen oder auch etwas falsch gemacht hast. Dies ist ganz im Sinne Janusz Korczaks Idee des Kameradschaftsgerichts, dass Kinder eine Stimme haben, die genau so wichtig ist, wie die der Erwachsenen und dass die Kinder sich äußern dürfen , sobald ein Erwachsener sich falsch verhalten hat. Sollten die Kinder etwas vergessen… hilft hier ein Spritzer Humor um sie daran zu erinnern; das Gehirn der Kinder braucht viele Wiederholungen bis sie die neuen Abläufe automatisiert haben.

 

Der eigene Weg

“Der gute Erzieher ist derjenige, der seinen eigenen Weg findet, nach dem er gesucht hat, und mit großen Bemühungen und Schwierigkeiten immer wieder sucht.” – “Dann kannst Du”, wie Korczak sagt, “so sein wie Du bist. Suche zuerst den Weg in Dir, sei Du selbst. Sei ehrlich, drücke ehrlich Deine Person aus, und das bevor Du Dich an die Kinder wendest.”¹

Mehr denn je, ist es essenziell sich mit dem eigenen Weg in dieser Situation auseinander zu setzen; horche in Dich hinein ob Du mit Deinen Tanzkindern, die nur Du kennst, unter gegebenen Auflagen einen Präsenzunterricht machen kannst – oder ob es vielleicht doch besser ist, noch den Onlineunterricht weiterzuführen. Ich für mich weiß, dass ein Tanzunterricht mit meinen 4-5-jährigen recht gut klappen könnte. Doch meine Tanzkinder unter 4 Jahren wären mit der Situation überfordert, auf ihrem Platz zu bleiben wäre für sie schwer, dies hat mit Ihrer unbändigen Freude dem Rennen zu Tun.

Doch abgesehen vom Alter gehen mir hierzu einige Fragen durch den Kopf:

  • Kann das Kind sich selbst schon beruhigen?
  • Kann das Kind alleine auf Toilette gehen?
  • Erreicht das Kind das Waschbecken?
  • Kann es sich selber die Hände waschen?

Sollte einer dieser Punkte mit Nein beantwortet worden sein, würde ich das Kind unter den aktuellen Auflagen nicht unterrichten, da keine Betreuungspersonen mit ins Studio dürfen. Gestatte Dir Deinen Weg in Deinem Tempo zu gehen. Keiner geht in Deinen Schuhen – nur Du selber.

Ich wünsche Dir nun für die kommende Zeit ein großes ToiToiToi!

Deine Stefi

PS: Solltest Du jemanden kennen, der wie Du von diesem Blogbeitrag profitieren könnte, dann teile ihn doch gerne mit Deinen Freunden oder Kollegen, denn wenn Du ihn als wertvoll empfindest werden sie das auch tun.

 


Literaturquellen

¹ STEFA – Stefania Wilczyńska pädagogisches Alltagsarbeit im Waisenhaus Janusz Korczaks* , Shimon Sachs, Juventa Verlag 1989, S. 33, S. 82/83, S. 113, 101
² Wie man ein Kind lieben soll*, Janusz Korczak, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 2012, S.301, S.308
³ Das Recht des Kindes auf Achtung – Fröhliche Pädagogik*, Janusz Korczak, Gütersloher Verlagshaus, 2009, S.33

*Im Text verwendete Links stellen Affiliatelinks dar, d.h. wenn Du diesen Links folgst und Waren erwirbst, erhalte ich eine Provision.

Stefis Newsletter

Tanze Wild & Frech Post

Träume nicht Dein Leben - lebe Deinen Tanz! Hier dranzubleiben oder überhaupt erst anzufangen, wirklich DEINS zu machen - das ist nicht immer ein Spaziergang. Ich bin angetreten, Deine Hand zu nehmen! Die Tanze Wild & Frech Post ist ein großer Teil davon. Abonnier sie Dir und lass mich Dir helfen, mit Inspiration und Tipps den Takt zu halten.