Vor den Sommerferien stürmen meine Vorschultanzkinder zum Kindertanz Unterricht hinein und rufen ganz laut: “Stefi, schau mal!” Auf einmal sehe ich weit aufgerissene Münder und die Kinderfinger gehen flink an ihre Zähne und ich bekomme zu hören: “Guck – der wackelt”. Zähne werden hin und her gedreht und ich sehe riesengroße Zahnlücken – mir wird ganz blümerant in der Magengegend. Die Kinder finden diese Zahnlücken und die Wackelzähne ziemlich gut und strahlen mich mit Lücken im Lächeln an!

In der antroprosophischen Pädagogik sind Wackelzähne ein Zeichen der Schulreife.

Doch warum eigentlich?

“Am Zahnwechsel wird deutlich, dass das Kind jetzt etwas Neues hervorbringt, etwas, das ganz aus eigenen Kräften heraus entstanden ist. Die Zähne werden in den Kiefern, im oberen Pol, angelegt. Es sind die Formkräfte von oben, die die Zähne entstehen lassen, während die Kräfte von unten, die Stoffwechselkräfte, dafür sorgen, dass die Zähne hervorkommen. Das erste Gebiss verschwindet, die Milchzähne fallen aus, und das neue Gebiss schiebt sich hervor. Allgemeiner gesagt: Durch die Kräfte des Stoffwechsels wird das Alte zur Auflösung gebracht und kommt das Neue ans Licht.”¹

Ein neuer Lebensabschnitt beginnt!

Mich freut es immer wieder wie stolz die Kinder sind, dass sie nun in die Schule gehen dürfen. Mit Neugier und Mut gerüstet sind sie zumeist bereit diesen neuen Schritt zu wagen. Doch nur fehlende Zähne oder das korrekte Alter zu haben entscheiden NICHT über die Schulreife. Denn Herz, Hand und Hirn sollten im Einklang sein um dieser neuen Herausforderung gewachsen zu sein. Wenn alle eine Einheit bilden können wir von Schulreife sprechen.

Hirn = Denkreife

So entspricht das Hirn der sogenannten »Denkreife«, denn diese ist unerlässlich für das Lernen. Bedeutet, wenn ein Kind einen klugen Satz sagt, dass es »Denkreif« ist? Edmond Schoorel¹, spricht von der sogenannten Denkentwicklung. Er schreibt darüber, wie bereits das Stehen auf den eigenen Füßen der erste Schritt der Denkentwicklung ist und es für Kinder eine Kunst ist, bei Einflüssen von außen, hier das Gleichgewicht zu halten.

“Das Stehenlernen bedeutet also auch, innerlich einen Standpunkt einnehmen zu können, während man sich bewegt. Die Bewegungen selbst können zunehmend innerlich beherrscht und schön werden. Für die Denkbewegung bedeutet das, dass das Kind begreifen kann, was ihm gesagt wird, ohne in Verwirrung zu geraten.”¹

Doch es geht nicht nur um das Stehen lernen, sondern auch die Sprache zu verstehen, Phantasie entstehen zu lassen, innere Bilder zu entwickeln und die Bilder auch still werden zu lassen um sie betrachten zu können.

Nun kommen wir zu meiner liebsten Art der Denkentwicklung, dem Fragestellen.

Wer mich persönlich kennt, weiß, dass ich immer wieder Fragen mit Gegenfragen beantworte und wahrscheinlich macht das mein Gegenüber manchmal rasend. Doch das Fragenstellen schaut sich ein Bild oder eine Situation genau an – warum, wieso, weshalb… so gut wie alle W-Fragen. Es regt zum eigenen Nachdenken an – der Entdeckergeist begibt sich auf eine Reise und möchte die Welt kennen lernen und Kinder haben einen Entdeckergeist, denn sie sind zumeist neugierig.

Hand = Körper

Doch nicht nur der Geist soll lernfähig sein, der Körper eben auch. Die ersten 7 Lebensjahre sind dem großen Thema des Aufbaus des physischen Leibs gewidmet. Alles wächst und soll gedeihen, das kostet Kraft und wie bei jeder Blume, braucht es erst Wurzeln, sodass oben die ersten grünen Blätter, Verästelungen und dann anschließend eine Blumenpracht wachsen kann. Kinder lernen durch Bewegung, es werden neue neuronale Verbindungen geschaffen durch Bewegung. Reflexe werden integriert, sodass tapsige und unbeholfene Bewegungen motorisch kontrolliert und gelernt werden können. So sollten alle sechs bewegungsmotorischen Muster durchlaufen und gemeistert sein, sodass die Kinder nun bereit sind komplexe motorische Herausforderungen, ihrem Alter entsprechend, zu meistern.

Geseke Lundgren, eine anthroposophische Waldorfpädagogin schreibt:

“Die grössten Probleme, die wir heute in den frühen Schuljahren haben, beruhen auf der unzureichend ausgereiften Bewegungsfähigkeit des Kindes und damit einhergehenden körperlichen Unruhe, Probleme in der Konzentration und soziale Inkompetenz. Ja – was machen wir denn da? Trainingsprogramme für Kleinkinder? Immer mehr Unterstützungslehrer in den frühen Klassen? Oder greifen wir ganz einfach zur Medizin (Ritalin, Amphetamin) um den Kindern ein wenig extra Zentralstimuli zu schenken, damit sie endlich fokussieren können? Eigentlich ist das ein Übergriff auf das Recht des Kindes zu einer natürlichen Entwicklung.
Zunächst einmal soll es sich in seinem eigenen Körper voll und ganz etablieren und „des eigenen Körpers Herr werden“, bevor man diese Konzentration auf andere Inhalte lenkt und fordert.
Erst wenn das Kind einigermassen bei sich selbst angekommen ist, kann es seine Energie auf die Interaktion mit der Aussenwelt richten. Hier liegt eine grosse Aufgabe für den Kindergartenbereich. Es wird immer schwieriger in der heutigen Zeit der sitzenden und medienkonsumierenden Gesellschaft, diese Defizite der gesunden und natürlichen Bewegungsmöglichkeit auszugleichen.”²

Herz = Gefühl

Doch auch das Herz, das Gefühl, darf sich bis dahin entfaltet haben. Kinder haben viele Gefühle, denn sie haben großes weites Herz und ihr Umfeld prägt sie. So ist es meines Erachtens wichtig, dass Kinder Mitgefühl entwickeln für ihre Mitmenschen und dass jeder anders ist. Gerade die Fähigkeit sich in einer Gruppe als Individuum zu fühlen und trotzdem in der Gemeinschaft zu sein, ist ein wichtiger Punkt um in einem sozialen Gefüge wie der Schule bestehen zu können. So sind es ganz einfache kleine Dinge, wie zum Beispiel sein Bedürfnis äußern zu können.

Diesen Sommer habe ich gelernt, dass nach Anna Halprin zufolge die Langeweile kein Gefühl ist, dennoch möchte ich die Langweile dem Thema des Herzens zuordnen.

Eine Lange Weile ist der Raum im Dazwischen – es ist der Raum indem erspürt wird, was als nächstes geschieht.

Sobald Kinder das gelernt haben geht es darum, dass sie ihre eigenen Pläne schmieden und diese dann auch von sich selbst aus umzusetzen. Gerade diese Gefühlskraft, die dann in ein eigenes Schaffen über geht braucht es für die Schule.

Doch was hat das denn nun alles mit dem Tanzunterricht für Kinder zu tun?

Wir als TanzpädagogInnen für Kinder haben eine unendliche Weite und Fülle unseren Kindertanz Unterricht zu gestalten. So ahmen die etwas kleineren Menschen von 3-4 Jahren, mit ihrem großen Herz und ihren unbedarft motorischen Bewegungen uns nach und brauchen eine liebevolle Aufmerksamkeit. Die größeren Kinder von 4-6 Jahren erfahren im Kindertanz wie spannend es sein kann eigenes zu gestalten, neues zu lernen, zu knobeln und schwierigere tänzerische Aufgaben zu meistern. Gerade in einem Zeitalter der frühkindlichen Intellektualisierung und der Maschinen ist die Kunst und bei uns ist es der Tanz so wichtig, denn nichts erschafft so viele neue Räume wie die Kunst – dies sollten wir uns bewusst machen, denn nur ein Mensch kann Fühlen, Spüren und Denken – Maschinen eben NICHT.

Einige meiner Tanzkinder haben diese Woche ihren ersten Schultag und ich möchte sie unterstützen auf allen Ebenen – wir werden die nächste Zeit Buchstaben und Zahlen tanzen, uns mit unseren Gefühlen beschäftigen, sodass ihre Neugierde und ihre Vorstellungskraft  durch den Tanz kreativ geweckt werden und ihr Lernen weiterhin mit Leichtigkeit erfüllt ist.

Alles Liebe Dir

Deine Stefi

PS:

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Literaturquelle

¹ Themenheft Schulreife, Pädagogische Sektion am Goetheanum, Dezember 2013, Artikel Schulreife, Edmond Schoorel, antroprosophhischer Kinderarzt, S.19-31
² Quelle: Themenheft Schulreife, Pädagogische Sektion am Goetheanum, Dezember 2013, Artikel Die Entwicklung der Kreativität vom Kindergartenalter bis ins Schulalter, Geseke Lundgren, S.44-47

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